Reto Tomasini, was ist BIM? Einfach eine trendig verpackte CAD-Lösung oder die Zukunft in der Bauplanung und -ausführung?
BIM ist viel mehr als nur eine einfache Softwarelösung und kann nicht in einer Box gekauft werden. BIM sollte als Prozess verstandenwerden, der durch Technologie befähigt und unterstützt wird. Obwohl 3D-CAD enorme Vorteile gegenüber herkömmlichem 2D-CAD bietet, sollte das 3D-Modell mit Informationen aus anderen Bereichen, wie zum Beispiel der Master-Spezifikation, koordiniert werden, um die Vorteile von BIM voll nutzen und ausschöpfen zu können. Daneben geht BIM bereits weit über 3D hinaus.
Welche Informationen gehören noch dazu?
Das Informationsmodell besteht nicht nur aus 3D-Geometrie, sondern enthält zahlreiche Informationen zu Geometrie und Leistungseigenschaften sowie Links zu zugehörigen Unterlagen und Spezifikationen. Diese sind im Projekt-Informationsmodell (PIM) und Anlagen-Informationsmodell (AIM) enthalten. Der Übergang von CAD zu BIM bedeutete im Wesentlichen die Erstellung von Modellen anstelle von Zeichnungen und das Arbeiten in einer kollaborativen Umgebung.
Muss ein Architekturbüro, das künftig mit der BIM-Methode arbeiten will, die komplette IT- oder CAD-Landschaft austauschen?
Das kommt ganz auf die heutige Ausstattung des Büros an. Die meisten Planungsunternehmen verfügen heute über moderne Computer und besitzen BIM-kompatible Software und Anwendungen. Was jedoch häufig fehlt, ist die Bereitschaft, einen Planungsprozess mit BIM voranzutreiben und die damit verbundene Prozessoptimierung anzunehmen. Ist dies der Fall, muss nicht viel ausgetauscht werden, sondern hier kann BIM eher als Prozessoptimierung sowie Investition in die Ausbildung der Mitarbeitenden verstanden werden.
Kann BIM auch kleineren Unternehmen helfen oder ist das einmal mehr etwas für Grossunternehmen und öffentliche Auftraggeber?
Der Mythos, BIM sei bloss für Grossprojekte und öffentliche Auftraggeber, hält sich hartnäckig. Leider zeigen zahlreiche Veröffentlichungen über BIM auf dem Titelblatt protzige Wolkenkratzer. Dies vermittelt ein völlig falsches Bild. Denn kleine Unternehmen profitieren vielleicht am meisten von den Effizienzgewinnen, die BIM mit sich bringt. Übrigens: «Klein» bedeutet nicht immer einfach. Der Umfang des Projekts hat keinen Einfluss auf die Komplexität des Baus. Ein grosses Industriegebäude ist oft einfacher zu entwerfen und zu bauen als eine kleine Einzelhandelseinheit in einem dichtverbauten
Stadtzentrum. Obwohl die öffentliche Hand immer öfter BIM vorschreibt, erkennen vermehrt auch private Auftraggeber und Auftragnehmer die Vorteile, die es mit sich bringt.
Aber ist BIM denn nicht grundsätzlich viel teurer?
Tatsächlich können bei der Einführung von BIM im Vergleich zu anderen traditionellen Verfahren höhere Anfangskosten anfallen. Jedoch sind die langfristigen Vorteile eindeutig grösser zu gewichten. Obwohl es sich bei BIM nicht um eine Technologie handelt, spielen Software, Hardware und IT-Infrastruktur ebenso wie der Mensch eine wichtige Rolle. Auch die mit der Einführung neuer Technologien verbundenen Trainings/Schulungen haben ihren Preis. Wenn ein Projektleiter über die Auswahl seiner digitalen Werkzeuge nachdenkt, sollte er diese als Arbeitsmittel betrachten.
Was sagen Sie zu den Stimmen in der Branche, die sich vor negativen Auswirkungen auf die Produktivität fürchten?
Die Einführung von BIM benötigt Zeit. Baufachleute müssen erst den Entschluss fassen, den Stift gegen die Maus zu tauschen und sich mit den digitalen Werkzeugen vertraut zu machen. Dabei ist BIM auch alles andere als einfach. Wer jedoch dranbleibt, wird auf mittlere Sicht wesentlich produktiver sein. Führt ein Unternehmen BIM oder neue Arbeitsmethoden ein, sollte es sich dazu genügend Zeit lassen und schrittweise vorgehen. Der Versuch, ein koordiniertes 3D-Modell erstmals an einem Freitagnachmittag zu erstellen, wenn der Auftraggeber Informationen erwartet, ist nicht ideal.
Dass vollständige Interview mit Reto Tomasini, erschienen im Fachmagazin "intelligent bauen", Auflage 7-8 2022, steht hier zum Download zur verfügung.