Generative KI eröffnet Versicherungen völlig neue Möglichkeiten, ihre gesamte Wertschöpfungskette zu verändern – sie können Wachstum und Innovationen vorantreiben und gleichzeitig Kosten senken. Wer diese Chance nutzen will, muss sich allerdings mit dem Paradoxon der planbaren Ungewissheit auseinandersetzen: Neben immensen potenziellen Vorteilen bringt der Einsatz generativer KI ein hohes Maß an Unsicherheit mit sich, etwa hinsichtlich neuer regulatorischer Herausforderungen und ethischer Aspekte im Zusammenhang mit der Datennutzung.

Ist das nicht ein Widerspruch zum Kernzweck von Versicherungen, also der Risikobewertung und dem Risikomanagement? Nicht unbedingt. Tatsächlich ist das Potenzial der generativen KI, interne Prozesse und Kundenerfahrungen drastisch zu verbessern, so groß, dass Versicherungen sich schlicht nicht leisten können, sie zu ignorieren.

Die interessante Frage ist: Wie lässt sie sich so einsetzen, dass aus einer disruptiven Herausforderung ein Wettbewerbsvorteil erwächst?

 Versicherungsunternehmen sollten sich fünf wesentliche Punkte bewusst machen:

  1. Best-Practice-Beispiele aus dem Versicherungssektor zeigen, wie es gehen kann
  2. Generative KI zu steuern, erfordert eine durchdachte und belastbare Strategie
  3. Alles steht und fällt mit dem richtigen Gleichgewicht
  4. Vertrauen in die Tools muss erarbeitet werden
  5. Der Weg zum Erfolg besteht aus vielen einzelnen Schritten

Best-Practice-Beispiele aus dem Versicherungssektor zeigen, wie es gehen kann

Führende Versicherungsunternehmen und andere Finanzdienstleister haben bereits begonnen, dieses Potenzial zu nutzen. Die Möglichkeit, Kosten zu sparen, ist dabei sicher eine entscheidende Motivation – generative KI kann aber noch wesentlich mehr: Sie schafft auch neue Möglichkeiten zur Umsatzsteigerung.

Mit generativer KI können Versicherungen ihre Produkte und Dienstleistungen stärker personalisieren und sich deutlich von ihren Wettbewerbern abheben. Gleichzeitig verringern ein verbessertes Underwriting sowie eine präzisere Betrugserkennung die Risiken. Hinzu kommt, dass Unternehmen mit der frühzeitigen Einführung neuer, leistungsfähiger Technologien eine hohe Innovationsbereitschaft signalisieren – und damit besonders attraktiv für eine technikbegeisterte Kundschaft sind.

Wie in anderen Branchen kann generative KI auch in Versicherungsunternehmen Dialoge für virtuelle Assistenten erstellen, den Kundendienst verbessern, automatisch Codes erzeugen, Daten analysieren, Dokumente zusammenfassen sowie Marketing- und Vertriebsinhalte erstellen.

Auf dem Weg, mithilfe generativer KI innovative Lösungen für ihre Beschäftigten und Kundinnen und Kunden zu schaffen, kommen zum Beispiel AXA und die Allianz bereits gut voran. Das „AXA Secure GPT“ ist ihre eigene Version von ChatGPT: Der interne Dienst auf Basis des Azure-OpenAI-Services von Microsoft generiert Texte, Bilder und Codes, fasst Informationen zusammen, übersetzt und korrigiert.

Viele Versicherungsunternehmen nutzen schon jetzt generative KI, um Vertretern und Kunden den Zugang zu relevanten Informationen zu erleichtern und Fragen zu beantworten. Chat-Bots sparen Zeit und Aufwand für die Recherche von dokumentiertem Wissen und helfen so, Effizienz und Produktivität zu verbessern. So lassen sich nicht nur Kosten einsparen: Chat-Bots sind auch in der Lage, komplexe Informationen einfach und klar vermitteln – das steigert die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden und schafft Vertrauen.

 

Generative KI zu steuern, erfordert eine durchdachte und belastbare Strategie

Im ersten Schritt auf dem Weg zu einer stimmigen Implementierungsstrategie sollten sich Versicherungsunternehmen auf Bereiche ihrer Wertschöpfungskette konzentrieren, in denen sich ein Wettbewerbsvorteil erzielen lässt – klassischerweise also Anwendungsfälle, die nachweislich rentabel sind. Wir arbeiten bereits mit einer Reihe von Versicherungsunternehmen an entsprechenden Projekten, um langfristig deren Gesamtergebnis zu verbessern.

Eine vertrauenswürdige generative KI kann Versicherungsunternehmen zweifellos eine Fülle an spannenden Möglichkeiten eröffnen. Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch Unsicherheiten in Bezug auf Governance, geistiges Eigentum, Datenschutz und Informationsqualität. Deshalb ist es so wichtig, eine klare Strategie zu definieren, ehe man sich auf den Weg macht. Für Versicherungsunternehmen bedeutet das: Sie müssen die Schlüsselbereiche identifizieren, in denen generative KI einen Mehrwert schaffen kann, dann ihre Anstrengungen und Ressourcen auf diese Bereiche konzentrieren und die Auswirkungen messen. Unser aktueller Beitrag „Navigating the GenAI journey“ betrachtet diese Phase genauer.

Alles steht und fällt mit dem richtigen Gleichgewicht

Die Schnittstelle zwischen Mensch und Technologie entscheidet über Erfolg und Misserfolg. Mit End-to-End-Automatisierung können Versicherungsunternehmen Durchlaufzeiten verkürzen und so ihren Service verbessern.

Wie kann eine vollständig KI-gestützte Lösung Kundinnen und Kunden im akuten Bedarfsfall von der ersten Schadensmeldung bis zur Schadenregulierung sinnvoll unterstützen?

Gerade im Versicherungswesen kommt es nicht selten auf Einfühlungsvermögen an, wenn es darum geht, Schadensfälle zu bearbeiten. Fehlt diese Empathie, kann neben dem Versicherungsgut auch die Kundenbeziehung Schaden nehmen. Empathie aber ist etwas, das künstliche Intelligenz nicht leisten kann.

Deshalb kommt an dieser Stelle das Copilot-Modell ins Spiel: Dabei bearbeitet die generative KI den Fall nicht allein – zusätzlich bleibt eine Person aus der Sachbearbeitung während des gesamten Vorgangs eingebunden, um deren Arbeit zu beobachten und bei Bedarf zu verfeinern. Sogar mit dieser menschlichen Beteiligung ist der gesamte Prozess im Vergleich zu früher radikal gestrafft – mit entsprechend positiven Effekten auf Zeit, Geld und Ressourcen.

Ein Beispiel in der Versicherungsbranche könnte die End-to-End-Automatisierung der Schadensregulierung sein: Auf generativer KI basierende Chat-Bots können auf die erste Schadensmeldung reagieren und den kundenorientierten Triage-Prozess unterstützen. Sie würden so den gesamten Vorgang für die Kundinnen und Kunden erleichtern und die Durchlaufzeit verkürzen. Ein menschlicher Co-Pilot in der Versicherung würde den Vorgang an wichtigen Punkten überprüfen, um einen reibungslosen Ablauf und die Zufriedenheit auf Seiten der Kundinnen und Kunden zu gewährleisten. Die Kosten würden bereits bei diesem Vorgehen erheblich sinken.

Generative KI lässt sich auch in Unternehmen verankern, um Anlageportfolios auf Basis der individuellen Kundenanforderungen, der Risikobereitschaft und der finanziellen Ziele anzupassen. Im Zusammenhang mit Lebensversicherungen oder Renten ermöglicht generative KI den Finanzberatern, Forschungs- und Marktdaten besser zu nutzen. So können sie verschiedene Anlageszenarien simulieren, um die Rendite zu optimieren.

 

Der Erfolg liegt im richtigen Gleichgewicht: Es gilt, die Bereiche der Versicherungswertschöpfungskette zu identifizieren, die von der Automatisierung profitieren werden – und auszuloten, wo und in welchem Maße (zumindest kurzfristig) ein Copilot-Ansatz erforderlich ist. Versicherungsunternehmen, die diese beiden Faktoren in Balance bringen, können das volle Potenzial generativer KI ausschöpfen.

Vertrauen in die Tools muss erarbeitet werden

Mitarbeitende und Stakeholder müssen sich mit den Tools anfreunden. Wer langfristig die Unsicherheiten der Technologie überwinden will, ist gut beraten, im Vorfeld die richtigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Dazu gilt es, die Überwachung und interne Steuerung einzurichten und konsequent zu verfolgen, während die Kommunikation mit Drittanbietern bei der Nutzung von deren KI-Modellen immer offen sein sollte.

Regulatorische Pflichten, etwa die Einhaltung des Gesetzes über künstliche Intelligenz der EU (EU AI Act), machen vielen Unternehmen große Sorgen. Dabei verfügt der Versicherungssektor schon jetzt über erprobte Steuerungsmodelle und ist seit jeher gewohnt, effektiv mit Risiken und regulatorischen Anforderungen umzugehen. Nun kommt es vor allem darauf an, die Stakeholder für das Potenzial, aber auch für die Risiken zu sensibilisieren sowie die eigene Belegschaft im Umgang mit generativer KI zu schulen. So können alle ein gemeinsames Verständnis entwickeln, die Chancen erkennen und sich über die künftige Ausrichtung einigen.

Der Weg zum Erfolg besteht aus vielen einzelnen Schritten

Jede Transformation ist eine Reise, die mit dem ersten Schritt beginnt. Auf dem Weg zur sinnvollen und gewinnbringenden Einbindung generativer KI besteht dieser erste Schritt darin, Grundlagen zu schaffen. Das gelingt mit der Unterstützung und dem Wissen externer Stakeholder sowie von Partnern mit Erfahrung auf dem Gebiet der generativen KI. Ein Pilotprojekt kann helfen, die Technologie in einem oder mehreren klar abgegrenzten, weniger stark regulierten Bereichen zu testen, um zunächst ihre potenziellen Vorteile zu validieren. Wenn sich der Erfolg eingestellt hat, kann man die Anwendung schrittweise auf andere Geschäftsbereiche ausweiten, bis sich schließlich das volle Potenzial ausschöpfen lässt.

Allen Risiken und Unsicherheiten zum Trotz: Die Frage im Versicherungssektor ist nicht, ob generative KI verwendet werden soll – sondern wie man sie integrieren kann.

  • Giovanni Zucchelli

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